Der "Fall Kummer": Virtualität mit Druckerschwärze

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Der Fall des Hollywood-Reporters Tom Kummer, dessen Interviews mit Filmstars im Magazin der Süddeutschen Zeitung aus Selbstgesprächen mit der eigenen Fantasie gespeist waren, überführt die Virtualität, die allenthalben als Signatur der neuen Medienrealität begriffen wird, geradewegs in die alte Welt der Druckerschwärze. Fernsehfälscher, Internet-Hoaxes - daran haben wir uns gewöhnt. Dass aber im ehrwürdigen Reich des Printjournalismus' auch nur Schein produziert wird, redaktionelle Kontrollmechanismen offenbar ausgeschaltet waren - wer hätte das gedacht? Offenbar jeder. Die Entrüstung über die Enthüllung des Magazins Focus hielt sich jedenfalls in Grenzen. Zwar wurde die Geschichte allenthalben aufgegriffen, doch richtig aufregen mochte sich darüber niemand. Vielmehr attestierte man Kummer, die Traumfabrik Hollywood gleichsam mit ihren eigenen Waffen geschlagen zu haben, und überhaupt haben alle ja längst gewusst, dass der Schweizer in L.A. ein unsicherer Kantonist sei - weshalb sich das SZ-Magazin auch 1999 von ihm getrennt hatte. "Diese Interviews, die keine waren, tun heute niemandem mehr weh", schreibt nun auch die FAZ in feuilletonistischer Weisheit: "Sie erzählen nur beiläufig von der Tragödie des Klatschreporters in einer restlos professionalisierten Medienwelt." Aber eines, liebe FAZ, wüssten wir doch noch gerne. Die hübschen Artikel, die der Herr Kummer zuletzt auf Euren Berliner Seiten veröffentlicht hat - sind die nun wahr oder wahre Lügen? 18-MAI-2000
15-MAI-2000 SZ-Magazin: Erfundene Interviews mit Hollywood-Stars (Focus, Online-Version nicht kostenfrei verfügbar)
16-MAI-2000 Die Geschichte der "Phantom-Interviews" (Tagesspiegel)
17-MAI-2000 Aus der Traum (Süddeutsche Zeitung)




























Radio Bremen schickt Internet-Reporter in den Kaukasus

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Ein kombiniertes Rundfunk-Internet-Projekt hat Radio Bremen gestartet. Reporter Martin Ebbing geht auf eine mehrwöchige Kaukasus-Reise und wird über seine Eindrücke sowohl in Rundfunkbeiträgen als auch in täglichen Mails für das Web berichten. Dort lassen sich auch gesendete Reportagen per Real Audio abhören. Zur Übermittlung dieser Beiträge wird sich Ebbing - soweit möglich - ebenfalls des Internets bedienen; für den Fall, dass kein Festnetz-Anschluss aufzutreiben ist, hat der Reporter ein ISDN-Satellitentelefon dabei. Ebbings Reise führt von der Türkei durch Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Karatschajewo, Kabardino-Balkarischen, Nord-Ossetien, Inguschetien und Tschetschenien nach Dagestan. 10-APR-2000
Zum Projekt Kaukasus (Radio Bremen)




























Redaktionelle Unabhängigkeit als Imagefrage



Werber: Spiegel Online (oben) und Tomorrow.de
Nirgendwo gehen redaktionelle Inhalte und Werbung eine solch amalgamatische Verbindung ein wie im Web. Die Süddeutsche Zeitung hat für diesen weithin akzeptierten Zustand jetzt zwei Übeltäter ausgemacht, von denen aber nur der erste zu den üblichen Verdächtigen zählt: Das Milchstraßen-Netzwerk Tomorrow.de und - man lese und staune - Spiegel Online. Die Begründung: Beide bieten in undurchsichtiger Verflechtung mit dem journalistischen Teil die passenden Produkte auf Provisionsbasis an und bewegen sich damit jenseits der Schamgrenze redaktioneller Unabhängigkeit. Spiegel Online werde deshalb seine Verträge mit den Händlern am Jahresende nicht mehr verlängern, weiß die SZ, plane aber ohnehin eine eigenständige E-Commerce-Site, die keine Rücksicht auf die Print-Marke mehr nehmen müsse. Und was lernen wir daraus? Redaktionelle Integrität gerinnt im Werbeumfeld zur Image-Frage. Sie aufrecht zu erhalten, mag für die alten Medien noch wichtig sein; die neuen hingen von Anfang an am Marketing-Tropf, und der Warenkorb liegt immer nur einen Mausklick entfernt. 07-APR-2000
06-APR-2000 Im Boot mit Bohlen (Süddeutsche Zeitung)
JAN-2000 Verstöße gegen das Trennungsgebot (M - Menschen Machen Medien) - Bericht über ein Presserats-Hearing zur Vermischung von Werbung und Redaktion.
SIEHE AUCH: Netzpresse-Themen: PR als Journalismus




























Internet-TV (noch) das falsche Nachrichtenmedium

Bislang hat TV1.de Webcasts im Auftrag von Unternehmen produziert und für RTL 2 im Big-Brother-Haus gepeept. Nun will der Münchner Internet-Fernsehsender ein Vollprogramm ausstrahlen: mit - man ahnt es schon - Firmen-PR und - man glaubt es kaum - knapp 30 Minuten Nachrichten-Clips pro Tag, wie die Berliner Tageszeitung in einem Porträt von TV1.de berichtet. Bleibt die Frage, wozu das gut sein soll. Denn Nachrichten-Kompetenz kann ein solcher Anbieter mangels Geld und Manpower nicht entwickeln, zumal die schlechte Übertragungsqualität, die das Internet (noch) bietet, die Informationsgabe mit Bild und Ton bis auf weiteres zum Nischen-Ereignis stempelt. Der einzige Markt, den informationsorientierte Internet-TV-Anbieter lohnenswert beackern können, ist in der Tat die Firmen-PR. So sind Übertragungen von Pressekonferenzen dank statischer Kamera-Einstellungen auch via Web erträglich anzuschauen. Für den Zugucker am Computer-Monitor ergeben sich nur zwei Nachteile gegenüber einer körperlichen Anweisenheit: Zum einen kann man meist noch keine Fragen stellen; zum anderen gibt es keine Häppchen. 02-APR-2000
01-APR-2000 Gewinnverzicht unter der Dusche (Die Tageszeitung)
28-SEP-1999 Wann kommt Internet-Video gewaltig? (Netzpresse)